Der verhexte Philipp.

Eine Rekruteneinzugshumoreske aus dem Militärleben von Josef Maertl
in: „Stralsundische Zeitung, Sonntagsbeilage” vom 01.11.1903


I.

Rekruteneinzug!

Das ist zumeist kein Tag des Herrn für die Kompagnie-, Schwadrons- und Batteriechefs und deren Vertrauten, die bärbeißigen Feldwebel und Wachtnmeister.

Ein Gemisch von Spannung und peinlicher Angst bemächtigt sich ihrer, wenn der Morgen graut, an dem die „Grasteufel”, „Remonten” oder wie man die braven angehenden Vaterlands­verteidiger sonst noch nennen mag, mit Sack und Pack anlangen, um — nicht dem eigenen Trieb, sonder nur der Not gehorchend — sich zum Dienst bei der Fahne melden.

„Es kommt nie etwas Besseres nach” — über dieses Sprichwort sind sich alle einig, denen die Ausbildung der jungen Mannschaft obliegt und auch die Mutter der dritten Kompagnie des in München garnisonierenden I. Infanterie-Regiments, der ebenso würdige wie behäbige Feldwebel Absmaier, beschwor dies in Gegenwart seines jungen, erst zum Hauptmann beförderten Kompagniechefs, und Vater „Abs”, so wurde er in der Garnison kurzweg genannt, mußte es ja wissen.

Dreiund dreißig Jahre stand er beim Regiment, und in dieser langen Zeit lernt man die Macht des Schicksals kennen, das die Rekruten alljährlich noch dümmer der Kompagnie zuführt.

So behauptete wenigstens Vater „Abs” am Morgen des Rekruten­empfangs­tages, obgleich der noch recht jugendliche Herr Hauptmann mehr Gottvertrauen besaß und daher zuversichtlicher dem Kommenden entgegen sah.

Und sie traten an, eskortiert von einem Sergeanten eines oberpfälzischen Infanterie-Regiments.

Als die „Grasteufel” auf dem weiten Kasernenhof standen, trat Vater „Abs” vor sie hin, um die seiner Kompagnie widerfahrene Göttergabe zu prüfen.

Seine bange Ahnung hatte sich erfüllt — wo blieb der Hauptmann in seiner Unerfahrenheit mit der gottvertrauenden Zuversicht?

Je weiter der Feldwebel in der Besichtigung kam, desto trüber wurde sein Gemüt. Was hatte man ihm da für eine Gesellschaft zugeschickt!

Das war wirklich zu viel Gnade vom himmlischen Vater, aber man mußte seine irdischen Sendboten hinnehmen; gegen solch eine Schicksalsfügung war nichts zu machen.

Nun stand Vater „Abs” vor dem letzten der Ankömmlinge. Es war ein behäbiger, jovial in die Welz blickender Mensch, dem man es ansah, daß er weit umhergekommen. Vor sich hatte er einen großen viereckigen Kasten, mit grünem Tuche auf der Erde stehen und, fast schien es, als ob sich unter dieser dichten Hülle etwas Lebendiges rührte.

„Nanu, mein Sohn, wer sind Sie?” wandte sich der Feldwebel mit sichtlichem Wohlgefallen an den letzten der „Grasteufel”.

„Zirkusdirektor, Herr Feldwebel!” sagte dieser prompt, die Absätze nach militärischer Vorschrift zusammenklappend.

>„Zirkusdirektor!? Hab noch nie einen solchen gehabt,” murmelte Vater „Abs”, angenehm berührt, daß der junge Mann so viel Bildung zeigte, eine „dienstliche Haltung” anzunehmen. Aus diesem Jungen konnte etwas werden.

„Und was haben Sie denn da in Ihrem Kasten drinnen, Herr Zirkusdirektor?” fragte Vater Abs nicht ohne leisen Spott weiter.

„Mein personal, Herr Feldwebel!”

„Ihr Personal?” — der alte Graubart stutzte und sah den Herrn Direktor zweifelnd an.

„Ihr Personal? Jungecken, ick sage man bloß, beis Militär hat man keine Witze nich zu reißen, sondern die Vorgesetzten zu respektieren!” platzte er, in seinen Berliner Heimatsdialekt verfallend, heraus.

„Herr Feldwebel, ich kann nicht anders sagen, als mein Personal,” entschuldigte sich der junge Mann und hob den Vorhang auf.

Es kam darunter ein Käfig zum Vorschein, in dem sechs grüngraue Papageien saßen, die sofort ein mörderliches Freudengeschrei erhoben, als es hell geworden war.

„Det heeßt, Herr Direktor, det is doch een bißchen stark,” meinte Vater Abs wütend. „Und so wat nennen Sie Personal?”

„Ja, ich bin nämlich Direktor vom ersten Papageizirkus und preisgekrönt von hohen und allerhöchsten Herrschaften!” entgegnete der junge Rekrut stolz.

„Und mit diese Biester kommen Sie hier anjesetzt zu's Militär?” rief Vater Abs kopfschüttelnd. &bdequo;Warum haben Sie nicht gleich een paar Elefanten und anderes Viehzeug mitgebracht?”

„ich bitte um Entschuldigung, Herr Feldwebel, ich weiß, daß ich sie nicht bei mir behalten kann. Ich werde sie hier in Pension geben. Ganz trennen kann ich mich auf so lange Zeit nicht von ihnen, weil sie sonst ihre Kunst und auch den Gehorsam verlernen. ich bitte Sie, Herr Feldwebel, mir nur für eine Nacht irgend einen leeren Raum anweisen zu wollen; morgen früh werden die Vögel bereits abgeholt.” Der Herr Direktor sprach dies so bescheiden und so einleuchtend, daß Vater Abs nicht umhin konnte, zustimmend mit dem ergrauten Haupte zu nicken.

„Bon, for eene Nacht mags ja angehen,” sagte er. „Aber wohin? Na, warten Sie mal! Hab es schon. Unteroffizier Glienicke! bringen Sie mal den Mann mit seinem Personal nach dem Einjährigen-Arrest oben in der dritten Etage. DEer Raum ist unbelegt; dort mag er die Piepmätzer niedersetzen! Som nun auf die Stuben! NBimm jeder Korporalschaftsführer soviel Mann, wie er unterbringt! Einteilen wird der Herr Hauptmann am Nachmittag selbst. Abtreten!” —

II.

Die Nacht hatte sich herniedergesenkt und in der Kaserne war es stille geworden. Nur die Gangposten draußen auf dem hellerleuchteten Korridor schritten in ihre Mäntel gehüllt, das Seitengewehr im Arm, in ihren Filzstiefeln geräuschlos und schläfrig auf und nieder.

Das „Gangpostenrennen” ist eine höchst langweilige Sache, und wird häufig starfweise, fpr „Ferkel” und sonstige „räudige Schafe” verordnet.

Oben in der dritten Etage, wo nur alte Mannschaft lag und sich auch die Stube No. 14, der gelinde Arrest für Einjährige oder sonstige chargierte „Disziplinarverbrecher” befand, schlich der brave Alois Niederhuber gähnend auf und nieder. Der Kompagniechef hatte ihn heute wieder einmal dabei ertappt, daß er die Feldmütze, die Kokarde nach hinten, auf die weitabstehenden Ohren gestülpt hatte, und ihm sofort einen Gangposten zudiktiert.

Alois Niederhuber war sonst ein guter Kerl. Er hatte nur drei Fehler: „Immer hungrig, immer müde, und zu keiner verantwortlichen Aufgabe zu gebrauchen.” Er war das Karnickel der Kompagnie, das bei jeder großen Gelegenheit, wie Paraden, Kasernenrevisionen u.s.w. bis in die tiefsten Tiefen der Küche verschwinden mußte, um bei den höheren oder hohen Vorgesetzten keinen Anstoß zu erregen.

Wie er nun so still auf und niederging, hörte er auf einmal drinnen in Nr. 14 ein lautes Gelächter und gleich darauf pfiff jemand die schöne Melodie zu dem Liede aus Schillers Räubern:

„So leben wir, so leben wir,
So leben wir alle Tage.”

„Ja, ja, die Einjährigen,” dachte er sich. „Die habens guat. Die kriagn bloß gelind'n Arrest, wenn unser oaner an strammen runterreißen muaß.” Er schlug mit seiner ungeschlachteten Rechten an die Tür und rief: „A Ruah bitt i mir aus. Es ist nachtschlafende Zeit, sunst meld i Enk!”

Ein abermaliges Gelächter war drinnen die Antwort und zwei Stimmen intonierten das wenig schmeichelhafte Lied:

„Du bist verrückt mein Kind.”

Das war dem guten Alois Niederhuber in seiner Würde als Gangposten denn doch zu toll. Sich verhöhnen lassen. Nein das durfte er nicht.

Wieder schlug er gegen die Tür und rief nachdrücklich: „Betracht's Enk als g'meldet! Ruah will i hab'n, Oes Sakradie überanander!”

Nun wurde es im gelinden Vater Philipp drinnen stille, aber sporenklirrend kam zu selben Minute der Offizier vom Tagesdienst die Treppe herauf.

&bdqu;Nanu was ist denn los!” rief er den Gangposten an, ohne erst dessen Meldung abzuwarten. „Entweder schläft er, der tolle Niederhuber, oder er markiert einen Wahnsinnigen.”

„Die Einjähri8gen drin im Arrest geb'n koa Ruah nit, Herr Oberleutnant!” antwortete der Gefragte ohne Umschweife. „Singen tuan s', pfeifen tuan s' und wia i 's verboten hab, hab'n s' mi ausgelacht und gsagt: Du bist verruckt mein Kind.”

„So!” meinte der Offizier verwundert. „Na, wir werden die Herren schon kriegen,” sprachs und ging wieder die Treppe hinab, um sich auf der Kasernen­wachstube nach dem Namen der Beleidiger und nächtlichen Ruhestörer in Nr. 14 zu erkundigen.

Der wachthabende Vizefeldwebel schlug das Strafrapportbuch nach und zuckte die Achsel.

„Befaure, Herr Oberleutnant,” sagte er, „Nr. 14 ist schon seit Schluß des Manövers nicht mehr belegt.”

„Was, nicht mehr belegt=”

„Bein, Herr Oberleutnant!”

„Das ist ja noch schöner! Da hat ja der Alois Niederhuber, der Kerl, wieder geschlafen und geträumt!” rief der Offizier du jour wütend. „Er meldete mir, daß die Einjährigen sängen, pfiffen und lachten und ihn verspotteten, als er Ruhe bot.”

„Es ist aber wie gesagt niemand drinnen, Herr Oberleutnant!” behauptete der Vizefeldwebel aufs neue.

„Na gut,” meinte der Aufgeklärte. „Lassen Sie den Alois Niederhuber sofort ablösen, und sperren Sie ihn auf dieselbe Nummer 14 bis morgen ein. Ich werde das weitere schon veranlassen. Gute Nacht!”

„Gute Nacht, Herr Oberleutnent!” sagte die Wache, und als der Offizier aus dem Tore war, stieg ein Gefreiter, den rasselnden Schlüsselbund in der Hand, mit der befohlenen Ablösung hinauf, um den guten Alois Niederhuber einzulochen.

„Hast Dir wieder a schöne G'schicht einbrockt, Loisl,” sagte er mitleidig, als er des armen Sünders ansichtig wurde. „Jatzt sollst abg'löst und bis morgen fruah auf Nummer Vierzehn eing'sperrt werden.”

„I, i eing'sperrt werd'n?” Loisl riß vor Ueberraschung den Mund angelweit auf.

„Ja, weil Du g'schlafen hast.”

„G'schlafen, i g'schlafen, wo die Einjährigen mi totärgern und ausspotten!”

„Ach, Unsinn! Einjährige? Tramt hast. Koa Mensch is drin im Philipp. Da schau her!”

Der Gefreite öffnete die Tür und zu seinem sprachlosen Erstaunen sah Loisl, daß der Raum leer war.

„Na, was sagst nun?” sagte der Gefreite. „Willst Du no leugnen, daß g'schlafen hast? Sei so guat und ziahg den Wachtmantel aus unhd die Filzgaloschen. Dreißig Tag „Stramme” sind Dir sicher, wenn nit mehr.”

Der gute Alois Niederhuber hatte keine Worte mehr. Willenlos ließ er sich ausziehen und in der nächsten Minute wurde die Tür vor ihm zugeschlagen, das Schloß zugedreht, er saß im sicheren Gewahrsam — unschuldig, unschuldig wie ein neugeborenes Kind. Hatte er nicht deutlich das Sprechen, Pfeifen und Singen gehört? Nein, er hatte nicht geschlafen, hier mußte Zauberei mit im Spiele sein. Angekleidet warf er sich auf den Strohsack — da erscholl ein greller Pfiff aus der Ofenecke, und gleich darauf ein vielstimmiges Gelächter.

Mit einbem Sprunge war Loislvon seinem Lager empor und nu hörte er unmittelbar vor sich die Worte:

„Glücklich ist, wer vergißt,
Was nicht mehr zu ändern ist.”

Nun wars vorbei mit seiner Ruhe und Selbstbeherrschung. Er stürzte zur Tür, schlug gegen die Füllung und schrie aus Leibeskräften: „Hilfe, Hilfe, mi holt der Teufi, der Philipp is verhext!”

Und je mehr er lärmte, desto lauter wurde der Spuk: Da pfiff, heulte, sang und lachte es um ihn, als wenn alle Teufel los wären.

Der Gangposten hatte draußen längst die Alarmklingel nach der Wache gezogen, die alte Mannschaft erschien auf dem Korridor, auch Vater Abs eilte herbei, und wie die Wache mit dem Schlüssel kam, um die Türe zu öffnen, da fiel Alois Niederhuber mit den Brettern in den Korridor hinaus. „Der Teufi, der Teufi,” keuchte er. „Hört Ihrs, der Teufi!”

Sprachlos starrten die Soldaten auf die Szene, sie hörten deutlich den Lärm und Vater Abs wußte nicht. was er zu der ganzen Geschichte sagen sollte. Wie war der Loisl in den Arrest gekommen?

Als ihm der Vizefeldwebel den Befehl des Oberleutnants mitteilte — ging ihm ein Licht auf.

„Du lieber Gott,” sagte er, „der gute Niederhuber kann ja gar nichts dafür! Ich bin schuld, ganz allein. Kommt herein, ich werde euch die Teufel zeigen!”

Sie hingen an der Wand, wohin sie ihr Herr Direktor vorsorglich geborgen und nun gabs ein Gelächter, was schier endlos war; nur Alois Niederhuber lachte nicht, so ein „Spaß” erschien ihm doch nicht so zwerchfell­erschütternd wie den andern.

Am nächsten Tage wurde das Personal des Herrn Zirkusdirektors ausquartiert, und Vater Abs hat nie wieder eine Schauspielertruppe in die Kaserne gelassen, wenn sie auch noch so leichte Vögel gewesen wären. Alois Niederhuber aber erhielt vom Hauptmann anstatt einer Strafe vierzehn Tage Urlaub zur Stärkung seiner Nerven und das hatte er nur dem Teufel im Arrest zu verdanken.

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